‚… ein abwesender Vater ist nicht immer ein Vater, der nicht gewünscht ist‘

Interview mit Jennifer Jaque-Rodney

Frau Jaque-Rodney, sie arbeiten seit mehr als 30 Jahren als Familienhebamme und haben im Jahr 2000 das Netzwerk der Familienhebammen in Deutschland mitbegründet. Was war Ihre Motivation, diesen beruflichen Weg einzuschlagen?

Für mich war meine Motivation wirklich, die Familie als System zu sehen, die Familie als Ganzes zu sehen. Mann, Frau, Frau, Frau, Mann, Mann, egal welche Konstellationen das war. Und hier reden wir von einer Mann-Frau-Konstellation. Das war für mich wichtig, einfach das weiter zu verfolgen und das auch zu unterstützen, da ich schon damals als Hebamme gemerkt habe, wie wenig Kontakt wir zu den Männern eigentlich haben und wie schade das ist.

Welche zusätzlichen Qualifikationen benötigen Hebammen, um als Familienhebammen tätig werden zu können?

Da muss man über das Systemische Bescheid wissen, da muss man auch über das Bild und überhaupt über die Definition Familie wissen. Was bedeutet Familie, was ist eine Familie aus dem Soziologischen, aber auch aus dem rein Statistischen? Was ist eine Familie, wie bildet sich eine Familie ab?

Als Familienhebamme gehen wir in unterschiedliche Lebenswelten und es kommt sie nicht einzuengen, weil ich sie nicht kenne, sondern einfach zu verstehen, die Lebenswelt Familie ist sehr divers und sehr vielfältig.

Welche Rolle spielt das Thema ‚Väter‘ bei der Aus- und Fortbildung von Familienhebammen?

Ja, die spielen eine wesentlich größere Rolle als bei der originären Hebammenausbildung. Es ist gewachsen, am Anfang war das Thema Vater oder Väter vielleicht nicht so präsent, aber in Nordrhein-Westfalen auf jeden Fall. Da ich die Qualifikation auch durchführe, war das für mich von Anfang an ein sehr wichtiges Thema und es spielt eine wichtige Rolle. Also es gibt unter der Lerneinheit Lebenswelt Familie auch Einheiten, wo das Thema Väter, Vater, die Rolle des Vaters vorkommt. Das könnte vielleicht eine größere Rolle spielen. Aber sie spielt auf jeden Fall im Vergleich zu der originären Ausbildung, finde ich, eine sehr wichtige Rolle, die man dann ausbauen muss.

Bei den Frühen Hilfen gibt die Sichtweise, dass Väter im Moment der Intervention keine Ressource, sondern ein Teil eines Problems sind und dieses Problem erst einmal ausgeklammert wird. Wie schätzen Sie das ein?

Ja, diese Konstellation gibt es auch, wo Väter eine ganz schöne Herausforderung sein können für die Entwicklung der Familie als solche. Ich schaue eher sehr positiv da hin, wenn die Väter da sind, wie wir sie auch unterstützen und wie wir sie auch beflügeln und befähigen können. Und bei den Vätern, die abwesend sind, sie sind manchmal nicht da, aber sind trotzdem im Gedächtnis der Frau da, es ist trotzdem ein Thema.

Und wenn die Frau mir auch zeigt, dass das für sie wichtig ist, auch wenn er nicht da ist, der wohnt woanders, da versuche ich trotzdem ihn mit einzubinden in einem Gespräch mit der Frau. Mit der Fragestellung: Okay, was machen wir denn mit diesem Vater, der nichts von seinem Kind wissen will? Ich frage die Frau, was ist ihre Lösung? Aber ich bin eher sehr positiv auch von der Erfahrung. Die Väter, die da sind und wirklich auch mit einbezogen werden wollen, da habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht.

In unserem Projekt geht es um jugendliche Väter, welche Erfahrungen haben Sie mit dieser Zielgruppe gemacht und welche zusätzlichen Unterstützungsbedarfe sehen sie für die Jugendlichen?

Ja, also gerade am Anfang meiner Tätigkeit als Familienhebamme viel, viel mehr als jetzt, muss ich sagen. Aber die Statistiken, also die Evidenzen, sprechen auch dafür, dass jugendliche Schwangerschaften, die Zahlen runtergegangen sind. Aber am Anfang hatte ich sehr viel mit jugendlichen Eltern und jugendliche Väter zu tun. Das war nicht immer einfach, da manche von diesen Jugendlichen mit 15, 16, 17 Vater geworden sind. Und in ihrem Jugend sein und in ihrer Entwicklung und die Hormone und alles Mögliche nicht immer sehr gut zu erreichen waren.

Was ich aber allerdings gemerkt habe damals und auch jetzt, wenn sie sehr jung sind, also unter 18 sind oder unter 21, ihnen erstmal zu sagen, als Familienhebamme bin ich auch für sie zuständig, sie sind für mich auch wichtig. Und es gibt auch keine Frage, die zu dumm ist und es gibt auch keine Frage, die sie nicht stellen können. Also ihnen von Anfang an zeigen, dass sie wichtig sind. Und gerade bei den Jugendlichen, bei den jugendlichen Väter, ist das echt sehr wichtig, dass sie den Eindruck haben, okay, sie ist nicht nur für meine Freundin da, sondern sie interessiert sich auch für mich. Sie also von Anfang an einzubeziehen.

Aber einfach ist es nicht, einfach ist es nicht, da braucht man einen langen Zeitraum, wo Vertrauen wächst. Da muss man auch das „jugendliche“ in dem Vater ansprechen und auch anerkennen und auch mit einbeziehen. Das heißt, dass, wenn er darüber spricht, dass er am Wochenende mit seinen Freunden „durch die Gemeinde ziehen möchte“, das nicht zu verpönen, sondern auch die Frage zu stellen, okay, wie kann das denn gehen? Also wie stellst du dir das vor? Also bei den jugendlichen Vätern anzudocken.

Bei den jugendlichen Vätern sind neben den Familienhebammen unter Umständen auch andere Hilfesysteme eingebunden. Wie schätzen Sie das ein, sind diese Systeme auf jugendliche Eltern vorbereitet oder sehen sie auch Handlungsbedarfe an Unterstützung für die Hilfesysteme selbst?

Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind im Vergleich zum Beginn meiner Tätigkeit, wo ich damit konfrontiert worden bin auch mit anderen Systemen in Kontakt gekommen bin. Ich glaube, dass es trotzdem noch nicht ausreichend ist. Die Jugendhilfe und auch Sozialarbeiter oder Sozialarbeit mit Jugendlichen, die braucht viel mehr Wissen darüber, wie sie ticken und wie sie kommunikativ an sie herantreten können. Ich glaube, da können wir uns auf jeden Fall verbessern. Aber im Vergleich zu der 90ziger-Jahren, wo ich angefangen habe, wo meiner Meinung nach in der Jugendhilfe Väter nicht so wertschätzend behandelt worden sind, sind wir auf jeden Fall in einer guten Entwicklung.